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Manchmal vergisst man, dass es in der Politik um Menschen geht.

Samstag, Oktober 28, 2006

Sektiererische Gewalt - hausgemacht irakisch?

Während Analysen und Kommentare in westlichen Medien von der sogenannten irakischen sektiererischen Gewalt dominiert werden, sind Irakis selbst geschockt über ein Phänomen, von dem sie schwören, ihm bis zur Invasion nicht begegnet zu sein.

Diese Woche feiern Muslime das dreitägige Fest des Fastenbrechens, Eid. Wie die Christen sich "Frohe Ostern" wünschen, wünscht man zu diesem Anlass "Fröhlichen Eid". Der genaue Termin von Eid hängt davon ab, wann die Neumondsichel gesichtet wird. Deshalb kann der Tag in den muslimischen Ländern variieren, im Iran begann er am Sonntag, in Libanon, Türkei, Jemen, Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Kuwait und Kathar am Montag.

Neurotische Irakische Ehefrau beschreibt, wie das neue religiöse Bewusstsein sogar den eigentlich Frohen Eid in einen unfrohen verwandelt (meine Anmerkungen in Pink):
Das Büro war heute wegen der Eid-Ferien bis auf ein paar Leute völlig verlassen. Ich sah eine meiner Kolleginnen und wünschte ihr "Frohes Eid". Sie schaute mich verächtlich an und sagte: "Mein Eid ist morgen, ich faste noch." Hmm, sagte ich, gut, also dann Frohes Eid im Voraus. Ein paar Minuten später traf ich zufällig auf einen der Mechaniker. Ich lächelte fröhlich und sagte "Frohes Eid für Dich". 'Es ist nicht UNSER Eid heute, es ist das Eid der "Wahabbis" (eine sehr respektvolle Bezeichung für Sunniten, ich meine ich weiß nicht warum wir nicht zivil miteinander umgehen) , fauchte er. Unseres ist morgen. OMG (das ist eine der bevorzugten Ausrufe der neurotischen irakischen Hausfrau, es ist so schön, weil wir die Abkürzungen im Deutschen beibehalten können) dachte ich mir. Vielleicht ist es besser, wenn ich Eid nicht einmal mehr gegenüber irgendjemandem erwähne. Ich wurde wirklich vorsichtig. Wannimmer ich jemanden sah fragte ich, anstatt Frohen Eid zu wünschen: "Feierst Du Eid HEUTE oder MORGEN?" Wenn die Antwort heute ist, wünsche ich ihnen einen frohen, wenn die Antowrt morgen ist, sage ich oh ok, dann frohen Eid im Voraus.

Ich meine es wurde ein so sensibles Thema, dass ich mich nicht mal mehr danach fühle, es irgendjemandem zu sagen, um ja niemanden zu verletzen. Sprich die Leute sind wirklich verspannt. Das ist doch albern. Wir leben im selben Land, betrachten denselben Himmel, atmen dieselbe Luft, und doch sehen wir den Mond anders. Wie das möglich ist - ich habe keine Ahnung. Warum können wir nicht einmal, nur einmal über eine Sache einig sein. Wir hatten nie so eine Animosität zwischen uns bis jetzt. Die meisten meiner Familie sind über die religiöse Zugehörigkeit hinweg verheiratet und ich kenne viele viele viele, die auch so sind. (sie selbst ist als Schiitin mit einem Sunniten verheiratet) Und jetzt höre ich Geschichten von Männern, die sich nach 20 oder 30 Jahren Ehe von ihren Frauen scheiden lassen wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer anderen Sekte. Und meistens ist es nicht der Wunsch des Mannes oder der Frau, sondern es wurde ihnen durch die Familie oder den Stamm aufgezwungen. Wowwwwww... Anstatt ein fortschrittlicheres Land zu werden, sind wir eines geworden, das schlimmer ist als in der Jahiliya Ära. Das pre-islamische Alter der Ignoranz, gekennzeichnet durch Barbarei und Unglauben.
Mixmax liefert plausible Gründe, warum die aktuelle sektiererische Gewalt nicht aus Iraks Vergangenheit hergeleitet werden kann:
Manche bringen die Auffassung zur Sprache, dass die Schiiten im Irak jahrelang von Saddam unterdrückt worden sind und dies einer der Gründe für die Gewalt sei, die im täglichen Leben Iraks stattfindet. Ich bin mit dieser Meinung nicht einverstanden, denn:
Erstens wurde vielen klar - sogar die Medien zeigen dies vermehrt in ihren Berichten und Nachrichten - dass die Gewalt von zwei Gruppierungen verursacht wird: eine Gruppe strebt nach politischen Vorteilen und missbraucht den Namen bestimmter religiösen Gruppen für diesen Zweck. Die zweite Gruppe besteht aus Dieben, Mördern und anderen Verlierern, die auf finanzielle Vorteile aus sind. Es könnte sich auch um ein politisches Manöver handeln, aber Muqtada al Sadr selbst schickte seinen Milizen in Amara einen Brief, in dem er sie aufforderte, aufzuhören, "sonst wird Al Sadr Euch alle ablehnen". Das hat das Blutvergießen von Anfang an nicht verhindert.

Auf der anderen Seite zeigten alle Medien vor ein paar Tagen - letzten Mittwoch - eine pro-Quaida-Gruppierung aus Ramadi bei einer trotzig protzigen Art von Parade im westlichen Teil der Stadt. Sie fuhren ungehindert
am hellichten Tag mit ihren Autos und Motorrädern, bewaffnet, mit schwarz-weißen Masken und ihren Slogans.

Manche Medienquellen betitelten diese Machtdemonstration mit "Sunni Kämpfer übernehmen die Macht in Ramadi". Ich fragte mich jedoch, ob die ganze Affäre der Aufstände in Amara durch die schiitische Al-Madhi-Milizen nicht einfach eine Antwort von Al Sadr auf die sunnitische Gruppe in Ramadi war und nicht nur um einen lokalen entführten Anführer ging!!

Zweitens hat Saddam nicht nur Schiiten unterdrückt. Saddam wird nicht als Sunni wahrgenommen, wie manche es meinen, oder dass er dem sunnitischen Islam gegenüber loyal ist! Tatsächlich hat sich Saddam keinen Funken darum geschert, ob jemand Sunnit oder Schiit ist oder gar an den Teufel glaubt: das entscheidende Ziel war jeden zu eliminieren, der davon träumte, gegen irgendetwas aufzubegehren, das mit dem Regime zusammenhing. Saddam hat seine eigene "Sekte", seine eigene "soziale Gruppe" geschaffen. Ja, eine mutierende soziale Gruppe innerhalb der irakischen Gemeinschaft. Zurück zu Saddams geschaffener sozialen Gruppe: diese Gruppe wurde das effiziente Werkzeug um zwei Dinge zu implementieren: Angst vor dem Regime und Misstrauen unter der Bevölkerung. Das traf Menschen aus allen Bereichen, aus allen Religionen.
Das Irakische Verwirrte Kollege Kid ist alles andere als verwirrt und beschreibt mit seinen talentierten Worten wie Religion für politische Zwecke missbraucht wird:
Al Quaida ist wertlos ohne ihre strategischen Alliierten, die Baathisten, die einen islamischeren Schleier aufgesetzt haben, um sich den Zeiten anzupassen und uns alle in dieses sektiererische Lollapalooza zu stürzen.
Ein seltsames Schauspiel bietet sich in Mirajs Kommentarbereich . Craig, ein Amerikaner, vermutet, dass viele irakische blogger Sunniten sind und nur behaupten, von gemischter Herkunft zu sein. Sie antwortet ihm:
Das letzte was ich tun werde ist einem Amerikaner beweisen, was meine Religion ist. Es ist nicht mein Problem, dass Du mir nicht glaubst und es ist ziemlich beschämend, dass Ihr Amerikaner mit der Wahrheit nicht umgehen könnt.
Diese Unterschiede, so fühlen wir hier im Irak, wurden durch die Invasion und die Medien gemacht. Ich bin an erster Stelle Iraki, dann Muslim und ich bin Muslim trotz alledem. Das gefällt Dir nicht? Dann musst Du andere Dinge finden, um ein Volk mit eigenem reichen Land zu auseinander zu dividieren.
Wenn Du meinen Beitrag sorgfältig liest, wirst Du herausfinden, dass ich nicht nur gegen schiitische Milizen bin, sondern auch gegen die der Baathisten. Ich bin gegen jede Art von Gruppierung, die gegen ihr Volk kämpft, ob sunnitisch oder schiitisch.
Und weiter:
Ich wurde nicht aufgezogen um Unterschiede zwischen Schiiten und Sunniten wahrzunehmen. Wir haben Familienmitglieder auf beiden Seiten, deshalb würde sich auf eine Seite stellen bedeuten, dass ich mich entweder gegen meine Mutter oder gegen meinen Vater entscheide.
Sie vermutet, dass Craig in dieser sektiererischen Gewalt ein Argument sucht, um Amerikas Fehler zu verdecken und bittet ihn, ihren blog zu verlassen.